Montag, 25. Juni 2007

Der Besuch beim Friseur

Geschichten aus dem Leben. .

Ab und an kam immer wieder dieser Tag, an dem meine Mutter sagte: " Bub, du siehst so ungepflegt aus, du musst mal dringend zum Friseur." Ich bekam Geld in die Hand und die Ermahnung auf den Weg, ja den Rest des Geldes zurück zu bringen. Ich suchte den Friseurladen auf, setze mich auf einen freien Stuhl im Wartebereich und hatte immer das Glück, dass mindestens 8 Leute vor mir dran waren. Wie die Zeit totschlagen? Jetzt war Mut angesagt. Nach langer Bedenkzeit war der Entschluss gefasst: Rübergehen und eine Illustrierte holen. Diese Zeitungen peppten den Friseurbesuch extrem auf. Es gab Medien, die aus meiner damaligen Sicht den schneebedeckten Gipfel der Verworfenheit darstellten. Jetzt galt es die Hemmungen im geistigen Hinterzimmer einzuschliessen, zum Zeitungsstapel quer durch den Warteraum zu laufen und auch noch den Vorgang des Herausfriemelns (die interessanten Werke waren ja immer ganz unten im Stapel) ohne größere Gesichts- und Ohrenrötung zu überstehen. War das gewünschte gefunden, musste ich es mit unbewegter Miene zu meinem Sitzplatz transportieren und dann den steigenden Blutdruck und hämmernden Puls aufgrund des schlagartig wachsenden Interesses im Zaum halten. Die abgebildeten Mädchen sahen ja soooo viel netter aus, als die Klassenkameradinnen (ihr verzeiht..) im Turnunterricht in den ausgebeulten schwarzen Feinrippoutfits. Meine Zeitungsfreundinnen hatten oben (viel) mehr und achteten nicht so zwanghaft drauf , das "mehr" nicht zu zeigen, sie schienen besser gelaunt zu sein und auch grundsätzlich viel lockerer. Meine Laune stieg zum Hochpunkt und die Wartezeit verging wie im Flug. Plötzlich das harsche Ende: mein Friseur rief mich auf: Postille zusammenklappen, auf den Stapel legen und ab auf den Frisierstuhl. Die immer gleiche Eingangsfrage: "Faconschnitt?" Was sonst noch im Angebot war, habe ich nie erraten. "Faconschnitt" gehörte halt zum Ritual. Dann wurde gekämmt, angefeuchtet und geschnitten, gefönt, gekämmt und wieder geschnitten. Das ganze dauerte Stunden und endete mit dem obligatorischen Rundumsprühen mit dem Parfümflakon. Noch einmal mit der Schere zwicken, einmal den Raiserspiegel vorhalten, um die Ideallinie des Nackenschnitts mit undeutlichem Gemurmel absegnen zu lassen, fast war es geschafft. Hinter den Spiegeln sassen die Frauen unter den absurden Trockenhauben mit ihren absurden Lockenwicklern und schwätzten unablässig unerhebliches Zeug. Die Friseurmeisterin achtete fleißig darauf, den Fluss der Nichtigkeiten über Gott und die Frauenwelt in Gang zu halten. Die Geräuschkulisse des Scherengeklappers, der weiblichen Permanentunterhaltung, der summenden Trockenhauben wurde flankiert vom süsslichen Odorama der Haaarsprays, der Rasierwässer und Shampoos. Der Friseur und seine Kunden redete grundsätzlich nichts. Ich lernte ein weiteres Mal, dass Männer zum Schweigen geboren sind. - und im Ernst, ich glaube, dass das auch so ist. Wer jagt, schwätzt nicht. Aber Gott, ich schien vor dem Frisuerbesuch lange nicht in Spiegel geschaut zu haben. Jedes Mal übermannte mich der Ärger über meine eigene Hässlichkeit und die Mühe des Selbstbildupdates . Nur mit Mühe gewöhnte ich mich jedesmal wieder an meine Nase, meine Augen, meine ganze pubertäre Schnauze. Nach der ganzen Schnibbelzeremonie gings dann meistens wieder- ich war wieder mit mir selbst im reinen, mit meinen Pickeln, meinen dicken Lippen, meinem immer noch bartlosen, absolut langweiligen Gesicht zwischen den abstehenden Ohren. Endlich fertig, runtersteigen vom Stuhl auf die eingeschlafenen Füsse und zahlen. Die Tür ging auf, die Türglocke klingelte zum Abschied und raus gings. Draussen registrierten die gnadenlos freigeschnittenen Ohren die neuen Temperaturverhältnisse, das Eau de Cologne brannte erst und gefror dann zu Eis auf dem abgschabten Nacken. Wenn ein Kamerad einem auf dem heimweg begegnete, kam meistens ein dummer Kommentar: " Na, Murmel abgedreht?"
Dann gings nach Hause, der Mutter die Frisur zeigen und das Restgeld abgeben. Auf dem ganzen Heimweg stachen die abgschnittenen Haare unter dem Hemdkragen und Mutter sagte dann meistens: "Na da hinten hätte er ein bisschen mehr wegnehmen können für das Geld." Ja, so war es damals.